Gelenkersatz bei Adipositas
»Eine gute Muskulatur ist wichtig«
Chefarzt Dr. Ingo Arnold im Rotes Kreuz Krankenhaus über Chancen und Risiken des Gelenkersatzes bei Adipositas.
Gesundheit:Bremen: Haben übergewichtige Menschen häufiger Arthrose als Normalgewichtige?
Dr. Ingo Arnold: Ja, sie haben ein fünffach erhöhtes Risiko für Gelenkverschleiß. Es ist aber nicht nur der Druck auf die Gelenke, der auf Dauer zu schmerzhaften Verschleißerscheinun-gen führt. Arthrose entsteht einerseits durch Überlastung, andererseits durch zu viel inneres Fett – also Fett, das sich am Bauch und im Körper rund um die Eingeweide und Organe ansiedelt. Wir merken hiervon nichts. Von diesem Fett können schleichende Entzündungen ausgehen, die auch die Knorpelzellen schädigen und Arthrose verursachen. Das Knie leidet am meisten. Stark adipöse Patienten erhalten auch ihre erste Hüftprothese im Schnitt etwa zehn Jahre früher als Normalgewichtige.
Gibt es Unterschiede in der Art des Gelenkersatzes für übergewichtige Patienten?
Auf die Funktion bezogen profitieren Übergewichtige vom Einsatz eines künstlichen Gelenks genauso wie normalgewichtige Arthrosepatienten. Insofern spricht nach Abwägung aller vorliegenden Risiken nichts dagegen, auch adipösen Patienten die Chance auf mehr Mobilität durch ein künstliches Hüftgelenk zu ermöglichen. Die Frage, ob sich eine größere Gewichtsbelastung nachteilig auf die Haltbarkeit von Implantaten auswirkt und ob es besonders empfehlenswerte Operationstechniken oder Implantat-Kombinationen gibt, wird in Ärztekreisen noch diskutiert. Ich bevorzuge gerade bei dieser Patientengruppe den vorderen, muskelschonenden Zugang zum Hüftgelenk. Im Hinblick auf das Kniegelenk rate ich vom Teilgelenkersatz bei stark übergewichtigen Patienten ab. Die kleinere Auflagefläche ist einfach zu empfindlich für die Gewichtsbelastung. Besser für den langfristigen Erfolg ist eine moderne, modular aufgebaute Totalendoprothese, bei der das komplette Gelenk ersetzt wird.
Gibt es für adipöse Menschen besondere Risiken beim Gelenkersatz?
Studien haben gezeigt, dass es bei den Operationen übergewichtiger Patienten etwas häufiger zu Infekten und Wundheilungsstörungen kommt. Das liegt am Fettgewebe – Fett heilt schlecht. Adipositas-Patienten leiden aber auch häufig am sogenannten metabolischen Syndrom. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und Insulinresistenz, die sich zu Typ-2-Diabetes-mellitus entwickeln kann, sind also Probleme, die wir auch bei Gelenkersatzoperationen als Risikofaktoren sehr genau im Blick haben müssen.
Wenn übergewichtige Patienten Gelenkersatz benötigen, müssen sie dann zwangsläufig vorher abnehmen?
Nein. Ich kann als Arzt nicht einfach sagen: Nehmen Sie jetzt mal ab und dann kommen Sie wieder zur OP. Das funktioniert nicht. Wenn sich jemand aufgrund seines Übergewichtes schon gar nicht mehr gut und genügend bewegen kann – wie soll er dann abnehmen? Trotzdem ist für die OP weniger Bauchfett sehr hilfreich. Bei extremem Übergewicht kann auch ein chirurgischer Eingriff zur Gewichtsverringerung den Zeitpunkt für den Einsatz eines künstlichen Gelenks nach hinten verschieben. Vor allem ist jedoch eine gute Muskulatur wichtig, um schnell wieder auf die Beine zu kommen. Wer ordentlich Hüftgold hat, aber gut trainiert ist, der trägt zwar viel Gewicht, hat aber bei einem Eingriff viel weniger Risiken zu befürchten. Eine Faustregel ist: Jedes Kilo, das wir weniger wiegen, entlastet den Druck auf das Kniegelenk um den Faktor 5.
Das Gespräch führte Dorothee Weihe
Kontakt
Dr. Ingo Arnold
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