Freie Kliniken Bremen — Vierfach umsorgt

Personalisierte Tumortherapie

»Den Krebs in Schach halten«

Personalisierte Tumortherapie arbeitet mit Wirkstoffen, die der Biologie der Tumore angepasst sind. Die Therapie gewinnt in der Krebsbehandlung auch im Darmkrebszentrum Bremen West im DIAKO Ev. Diakonie Krankenhaus zunehmend an Bedeutung. Der Chirurg Professor Dr. Stephan M. Freys und der Hämato-Onkologe Professor Dr. Ralf U. Trappe erläutern den Ansatz.

Ingo Hartel

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Professor Dr. Stephan Freys und Professor Dr. Ralf Trappe setzen unter anderem neue biologische Wirkstoffe ein, um Krebspatienten neue Therapieperspektiven zu eröffnen.

Gesundheit:Bremen: Lange Zeit hieß es bei der Therapie onkologischer Erkrankungen: Vorbehandlung, Operation, Nachbehandlung, wobei Vor- und Nachbehandlung insbesondere aus Chemo- und Strahlentherapie bestehen. Ändert sich dieser Dreiklang mit der personalisierten Tumortherapie?
Professor Dr. Stephan M. Freys: Nein, die Abfolge ist so geblieben. Aber es ist stärker im Fokus, dass Krebs eine Systemerkrankung ist und nur in den seltensten Fällen eine lokale.

Das heißt?
Freys: Tumorbehandlung ist mehr als Schneiden. Denn in der Folge können sich über Krebszellen, die in den Blut- und Lymphbahnen zirkulieren, Metastasen bilden. Jeder vierte Todesfall wird gegenwärtig durch Krebs verursacht – vornehmlich als Folge der systemischen Krankheitsausbreitung und Metastasierung, also der Entstehung von Tochtertumoren.

Professor Dr. Ralf U. Trappe: Der Dreiklang in der Behandlung ist zwar gleich geblieben. Aber der Bereich der Chemotherapie ist deutlich stärker ausdifferenziert. Bestand die herkömmliche Chemotherapie aus reinen Zellgiften, stehen uns nun zunehmend biologische Wirkstoffe zur Verfügung. Diese sind beispielsweise auf die Gensignaturen der Tumore ausgerichtet oder sogar in der Lage, das Immunsystem so spezifisch zu aktivieren, dass es gezielt den Tumor bekämpft.

Wann kommen die biologischen Wirkstoffe zum Einsatz?
Trappe: Voraussetzung für den Einsatz dieser sogenannten zielgerichteten Substanzen ist die Aktivierung ganz spezieller Signalwege in den Tumorzellen. Ob die entsprechenden Signalwege bei einem Patienten und seinem Tumor aktiviert sind, wird in Blut- oder Gewebeproben des Patienten untersucht. Diese Veränderungen werden deshalb auch als Biomarker bezeichnet. Auch bei den Immuntherapeutika können bestimmte Biomarker vorhersagen, ob der Einsatz einer Substanz erfolgversprechend ist.

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Das bedeutet für die Patienten?
Trappe: Zunächst einmal ist es für die Patienten eine schonendere Form der Behandlung. Aber ausschlaggebend ist, dass wir die Muttertumore und die Metastasen exakter bekämpfen können, weil wir die biologischen Wirkstoffe häufig zusätzlich zur klassischen Chemotherapie einsetzen. Die Analyse von Biomarkern hilft uns zudem zu ermitteln, welcher Patient von einem bestimmten Medikament nicht profitiert. So können wir ihm die Nebenwirkungen einer unwirksamen Therapie ersparen und gleich die Therapie mit den besten Erfolgsaussichten einleiten.
Freys: Dank der Kombination können wir außerdem heute Tumorstadien behandeln, die früher nicht therapierbar waren.

Zum Beispiel?
Freys: Nehmen Sie einen Darmkrebs, der Metastasen in der Leber ausgebildet hat: Noch vor wenigen Jahren war da leider wenig zu machen. Dank der neu entwickelten biologischen Wirkstoffe können nun auch solche Metastasen erfolgreich therapiert werden. So heißt es heute beispielsweise in bestimmten Fallkonstellationen: »Liver first!« (Die Leber zuerst; Anm. d. Red.). Erst werden die Metastasen am lebensgefährdenden Organ – also der Leber – behandelt und dann erst der eigentliche Tumor am Dickdarm oder Enddarm.
Trappe: Ja, für den Patienten ergeben sich heute außerdem durch die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen internistischen Onkologen und Chirurgen ganz neue Perspektiven. So haben wir beispielsweise in der Behandlung wiederauftretender Tumore verschiedene Pfeile im Köcher. Auch wenn wir nicht mehr operieren können und die Metastasen im Vordergrund stehen, kann es gelingen, den Krebs in Schach zu halten. Durchaus auch über viele Jahre hinweg.

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Was bringt das für die Lebensqualität der Patienten?
Trappe: Nun, häufig können sie ihr Leben leben und oft auch ihrer Arbeit nachgehen. Hier haben wir große Fortschritte erzielt. Die moderne Tumortherapie geht heutzutage oft mit einem langjährigen Arzt-Patienten-Verhältnis einher.

Können Sie einen typischen Therapieverlauf schildern?
Freys: Ja, da ist das Beispiel einer Patientin aus der Anfangszeit unseres Darmkrebszentrums. Sie war 48 Jahre alt, als sie im Herbst 2008 erstmals Blut im Stuhl entdeckte. Bei einer Darmspiegelung im DIAKO wurde eine Krebsgeschwulst im Dickdarm entdeckt, die umgehend behandelt werden musste. Der Patientin wurden der rechte Teil des Dickdarms sowie die zugehörigen Lymphknoten entfernt. Anschließend erhielt sie eine Chemotherapie und blieb einige Jahre ohne Beschwerden. Bei einer routinemäßigen Nachsorge zeigte sich 2011 jedoch, dass der Dickdarmkrebs in der Leber drei Metastasen gebildet hatte. Daraufhin haben wir eine individuell an die Tumore angepasste, sechsmonatige Chemotherapie eingeleitet. Mithilfe der Wirkstoffe gelang es, die Metastasen so deutlich zu verkleinern, dass wir sie Anfang 2012 operativ entfernen konnten. Seitdem ist die Patientin tumorfrei.

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Kurz & knapp

Zielgerichtete Krebsmedikamente

Bei der Entwicklung neuer Medikamente macht sich die Krebsforschung das immer größere Wissen um die Funktionsweise von Tumorzellen zunutze. Zielgerichtete Arzneimittel wirken gegen Merkmale, die es so nur in Krebszellen gibt oder die beim Wachstum von Krebsgewebe eine wichtigere Rolle spielen als in gesundem Gewebe. Es gibt verschiedene Gruppen dieser englisch als ›targeted therapies‹ bezeichneten Medikamente. Einige unterdrücken das Zellwachstum oder die Gefäßbildung in den Tumorzellen, andere blockieren die dortigen Signalwege. 
Immuntherapeutika aktivieren das körpereigene Abwehrsystem gegen Tumorzellen.

Kontakt

Prof. Dr. Stephan M. Freys
Leitung des Darmkrebszentrums
0421- 6102-2592

Prof. Dr. Ralf Trappe
Chefarzt der Medizinischen Klinik II/Hämatologie und internistische Onkologie
0421-6102-1481

darmkrebszentrum@diako-bremen.de

DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus
Gröpelinger Heerstraße 406–408
28239 Bremen
www.diako-bremen.de

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