Alltag in der Notaufnahme
Lebensrettung hat Vorrang
In Notaufnahmen haben Ärzte und Pflegekräfte es mit den unterschiedlichsten Verletzungen und Krankheiten zu tun. Hinter den Kulissen hilft ihnen ein bewährtes System, dringende von weniger dringenden Fällen schnell zu unterscheiden.
Ungeduld bekommen Ärzte und Pfleger in den Notaufnahmen der Freien Kliniken Bremen häufig zu spüren. Denn hier, so scheint es, hat es jeder eilig. Wobei diejenigen, die am dringendsten Hilfe brauchen, oft notgedrungen die stillsten Patienten sind. Der bewusstlose Fußgänger etwa, der von einem Auto angefahren wurde. Oder die Patientin, die nach einem Schlaganfall keinen Satz mehr herausbringt. In die Notaufnahme gelangen sie ebenso wie Patienten, die keineswegs akut gefährdet sind. »Immer mehr Patienten verwechseln uns mit dem ärztlichen Notdienst«, sagt Bettina Klatt, die das Pflegeteam der Notaufnahme im Rotes Kreuz Krankenhaus (RKK) leitet. »Sie kommen mit einem frischen Insektenstich zu uns oder weil sie endlich mal was gegen ihre Rückenschmerzen tun wollen, aber nicht sofort einen Termin beim Orthopäden bekommen.«
Laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin kommen jedes Jahr rund 20 Millionen Menschen in die Notaufnahmen hiesiger Kliniken. Tendenz steigend. Doch: Nur jeder sechste Notaufnahmepatient schwebt in Lebensgefahr.
»Schmerzen und Angst treiben viele Menschen in die Notaufnahmen«, sagt Unfallchirurg Dr. Martin Lewandowski, Leiter der Notaufnahme des DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus. »Gerade bei Beschwerden, die dem Patienten schon länger bekannt sind, ist die Angst vor akuter Gefahr allerdings in der Regel unbegründet. Umgekehrt gilt: Je schneller und heftiger ein Symptom auftritt, desto dringender braucht der Patient Hilfe.«
Kein Hilfesuchender wird von den Kliniken weggeschickt. Mitunter jedoch wünschen sich Ärzte und Pfleger, dass sich mancher vorher überlegt, ob sein Leiden wirklich ein Fall fürs Krankenhaus ist. »Wir helfen gern«, sagt Bettina Klatt. »Wir brauchen unsere Kapazitäten aber vor allem für akute Notfälle. Eine Notaufnahme ist sicher nicht der richtige Ort für einen Verbandswechsel. Oder ein praktischer Ersatz für die Hausarzt-Sprechstunde.«
Farben zeigen Dringlichkeit
Wie dringend ein Patient behandelt werden muss, wird in den Notaufnahmen des DIAKO, des St. Joseph-Stift und des RKK mithilfe des bewährten Manchester-Triage-Verfahrens ermittelt: Anhand seiner Symptome wird jedem Patienten bei der Ankunft eine von fünf Dringlichkeitsstufen zugewiesen. Sie werden im Computer auf einer Farbskala angezeigt. Diese reicht von Rot für Notfälle – zum Beispiel Patienten mit akuter Atemnot, Verdacht auf Schlaganfall oder Herzinfarkt – bis hin zu Blau für Fälle, die weder dringend noch lebensgefährlich sind.
Als orthopädische und handchirurgische Fachklinik konzentriert sich die Notaufnahme der Roland-Klinik auf Probleme des Bewegungsapparats. »Viele Patienten kommen nach einem Unfall zu uns. Manche stehen unter Schock«, sagt Miroslawa Meyer-Diekena, Leiterin des zuständigen Pflegeteams. Knochenbrüche, Sehnenrisse und Handverletzungen gehören hier zu den häufigsten Notfällen. Stoßzeiten sind oft witterungsbedingt: »Bei Glatteis haben wir in kürzester Zeit deutlich mehr Unfallpatienten als an anderen Tagen. Bei nasskaltem Wetter kommen mehr Patienten mit akuten Rücken- und Gelenkschmerzen«, so Meyer-Diekena.
Wartezeiten gehören leider dazu
Zahlreiche Websites machen es für medizinische Laien heute leichter denn je, zu jedem Symptom die scheinbar passende Diagnose zu finden. Manche würden so eher aufgeschreckt als aufgeklärt, sagt Chefarzt Lewandowski. Das präge auch seinen Alltag. »Vor 20 Jahren kamen Patienten meist zu uns, nachdem der Hausarzt ihnen einen Krankenwagen bestellt hatte. Heute kommen immer mehr auf eigene Faust. Wir beschäftigen deshalb mittlerweile auch Sprechstundenhilfen. Sie nehmen Patienten in Empfang, behalten den Wartebereich im Blick und werben um Verständnis für längere Wartezeiten, weil wir uns erst einmal um Menschen kümmern müssen, die gerade in Lebensgefahr schweben.«
Erfahrungen, die auch Krankenpfleger Christian Wolf aus dem St. Joseph-Stift teilt. Manche Patienten, so hat er beobachtet, kommen mit dem Rettungswagen, obwohl sie problemlos ein Taxi nehmen könnten. »Darauf angesprochen, sagen sie ganz unverblümt, dass sie sich die Wartezeit sparen wollen.« Mancher wundere sich, wenn er trotzdem in den Wartebereich geschickt werde. »Es kommt bei uns darauf an, wie gefährdet ein Patient ist, und nicht, mit welchem Verkehrsmittel er kommt.«
Bereitschaftsdienst hilft außerhalb der Sprechzeiten
Seit Kurzem liegt gerade für Wolfs Patienten eine passendere Anlaufstelle ganz nah: Seit Ende Oktober arbeitet im St. Joseph-Stift das Team des Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung. Sein Angebot richtet sich an alle Patienten, die außerhalb der normalen Praxis-Sprechzeiten die dringende Hilfe eines Haus- oder Facharztes benötigen. Das sei ein großer Gewinn für die Krankenhäuser und alle Hilfesuchenden, sagt Wolf: »Patienten, die in einer Notaufnahme lange warten müssten, weil andere Fälle viel dringender sind, finden dort schneller zu einem Arzt. Und umgekehrt können die Ärzte dort direkt an uns verweisen, wenn ein Patient stationär aufgenommen werden muss.«