Interview und Vorsorge-Checker
»Was können Vorsorgeuntersuchungen wirklich leisten?«
Dr. Johannes Grundmann, Präsident der Ärztekammer Bremen und Facharzt für Innere Medizin, erläutert im Interview die Bedeutung von regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, geht auf die Angst davor ein und verrät, wie er es persönlich mit der Vorsorge hält.
Gesundheit Bremen: Weshalb sind Vorsorgeuntersuchungen heute wichtiger denn je?
Dr. Johannes Grundmann: Ich möchte dies am Beispiel der Darmkrebsvorsorge verdeutlichen. In Deutschland sterben jedes Jahr etwa 25.000 Menschen an Darmkrebs und 61.000 erkranken jährlich neu. Dank der Koloskopie, der großen Darmspiegelung, ist es aber so, dass nach Studienlage der Darmkrebs früh diagnostiziert, rechtzeitig operiert oder gar verhindert werden kann (nähere Informationen zur Vorsorge siehe PDF-Download am Ende dieses Artikels, die Redaktion).
Übrigens, bedingt durch die Corona-Pandemie haben laut Studien deutlich weniger Menschen (28,2%) in Deutschland als in den Jahren zuvor an den Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen. Eine vom Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführte Befragung zeigte, dass alle Bereiche der Vorsorge betroffen waren. Viele Versicherte gaben an, dies aus Angst vor einer Corona-Infektion nicht getan zu haben.
Viele Menschen haben Angst vor einer Vorsorgeuntersuchung. Was würde helfen, diese Hemmschwelle zu überwinden?
Viele Patient:innen haben natürlich Angst, und zwar vor Ärzt:innen überhaupt und einer eventuellen schlechten Diagnose. Ein Hauptproblem bei den Vorsorgeuntersuchungen stellen falsche Verdachtsbefunde dar, vor allem dann, wenn die Patient:innen beschwerdefrei sind. Angst vor Schmerzen und Belastung durch die Früherkennungsuntersuchung sind weitere Faktoren. Im Fall einer eventuellen Krebsdiagnose fühlen sich die Patient:innen überfordert, wenn von ihnen Therapieentscheidungen verlangt werden. Außerdem haben sie Angst davor, dass sich ihr Leben in solch einer Situation von heute auf morgen ändern könnte.
Von manchen Sozialverbänden wird auch auf die finanzielle Belastung sozial schwacher Gruppen hingewiesen, die sich Selbstzahlerkosten (Beispiel: PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs) einfach nicht leisten können.
Helfen würde sicherlich zur Überwindung dieser Hemmschwelle ein ausführliches Gespräch mit einer Vertrauensperson, zum Beispiel der Hausärztin oder dem Hausarzt. Dort kann dann nicht nur die Untersuchung erläutert werden, sondern auch die Frage, welche Vorteile sich für die Patient:innen daraus ergeben. Ganz wichtig ist: Für so ein Gespräch muss ausreichend Zeit eingeplant sein. Das ist viel wertvoller als so manche Labor- oder sonstige technische Untersuchung.
Manche Vorsorgeuntersuchungen sind umstritten. Welche Haltung hat die Bremer Ärztekammer dazu?
Entscheidend ist ja die Frage: Was können Vorsorgeuntersuchungen wirklich leisten? Wie viele Tumoren werden dadurch frühzeitig entdeckt mit Aussicht auf rechtzeitige Therapie und gegebenenfalls Heilung? Nach Studienlage gibt es relativ wenige positive Früherkennungsuntersuchungen. Dazu gehört die Untersuchung auf Darmkrebs, auf Gebärmutterhalskrebs (ab dem 20. Lebensjahr) sowie das Brustkrebs Screening Mammografie. Es gibt durchaus Kritiker:innen der Vorsorgeuntersuchungen. Professorin Dr. Ingrid Mühlhauser, Inhaberin des Lehrstuhls für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel ›Unsinn Vorsorgemedizin‹. Sie stellt dabei die kritische Frage: »Darf ich mich gesund fühlen, auch wenn ich Vorsorge nicht in Anspruch nehme? Darf ich mein Schicksal leben?« Als negatives Beispiel nennt sie unter anderem die Hautkrebs-Screening-Untersuchung, die seit 2008 von den Kassen bezahlt wird. Allein der Begriff ›Vorsorgeuntersuchung‹ sei laut Professor Dr. Jürgen Windeler, ehemaliger Leiter des IQWIG (Institut fürQualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Köln) falsch. Man könne eben nicht einer Erkrankung durch solche Untersuchungen vorbeugen, sondern nur feststellen, ob man sie hat. Das meiste, was heute mit Vorsorgeuntersuchungen beschrieben wird, sind nämlich Früherkennungsuntersuchungen.
Auch der PSA-Test zur Prostatakrebs-Früherkennung ist schon seit Jahren in Verruf geraten. Er kann zum Teil ungenau sein und nicht jeder Prostatakrebs ist gefährlich. Ältere Männer sterben meist an einer anderen Krankheit als an einem Prostatatumor.
Wie halten Sie es persönlich mit der Vorsorge?
Ich bemühe mich, einigermaßen gesund zu leben, fahre Fahrrad und spiele Tennis. Was die Vorsorgeuntersuchungen betrifft, so mache ich regelmäßig Blutuntersuchungen (unter anderem Blutbild, Leber- und Nierenwerte), aber auch PSA für die Prostata und eine Oberbauchsonografie. Demnächst wird bei mir eine Magen- und Darmspiegelung vorgenommen. Wegen Corona habe ich auch die Lunge röntgen lassen.
Download:
Vorsorge-Checker: kostenlose Standarduntersuchungen (PDF, 40 kb)